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Schwimmbad ist nicht geeignet für einen Kulturkampf


Bayern hat sein erstes Burkini-Verbot und das bewegt wie immer in solchen Fällen die Gemüter. Der konkrete Fall ist schnell geklärt. Doch am Horizont schimmert schon die nächste aufgeregte Debatte um die Kleidung muslimischer Frauen. Dabei ist vieles dazu schon geklärt.

Pünktlich zur Freibadsaison katapultiert ein Fall aus Neutraubling in Bayern eine beendet geglaubte Diskussion in die deutsche Debatte um Flüchtlinge, Muslime und vermeintliche Islamisierung. In dem kleinen oberpfälzischen Ort bei Regensburg erregte vergangene Woche eine Muslima Aufmerksamkeit, weil sie im Burkini das städtische Hallenbad besuchte. Bürgermeister Heinz Kiechle reagierte auf Beschwerden, indem er den islamischen Damenschwimmanzug faktisch verbot: Erlaubt ist neuen Schildern im Bad zufolge nur "übliche" Badekleidung, worunter nach Neutraublinger Lesart Badehosen, Badeanzüge und Bikinis zu verstehen sind.

... getragen werden.

Nach außen war die Aufregung offenbar größer als in konkreten Fall. Wie der Bürgermeister der "Welt" zu Protokoll gab, konnte er, der sich nach eigener Aussage sehr für die Flüchtlinge in seinem Ort engagiert hat, in einem Gespräch mit der islamischen Gemeinde alle Wogen glätten. Der Ärger sei auch daher gekommen, weil die Frau am Damenbadetag im Burkini aufkreuzte. Allerdings wollte sie laut Kiechle an einem Gymnastikkurs teilnehmen, der von einem Mann geleitet wurde.

In Neutraubling regelte man die Sache dann analog zu den überdimensionierten Badeshorts, die in vielen deutschen Schwimmbädern seit Jahren verboten sind. Einige Badegäste hatten nämlich Bedenken geäußert, ob der Burkini der Dame denn die Hygiene im Wasser gewährleisten könne. Mit diesem Argument schritt der Bürgermeister auch ein. "Da fragen viele unserer Badegäste: Wie kann man sich denn vorher mit so etwas überhaupt duschen, bevor man ins Wasser geht", sagte er der "Welt". Ob das Argument Bestand haben wird, ist allerdings fraglich. Bei einem ähnlichen Fall in Konstanz ließ die Stadt in einem Gutachten der dortigen Universität wissenschaftlich feststellen, ob Burkinis unhygienisch sind. Ergebnis: Nein.

In den USA ist knielang Standard - bei Männern

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Bei den Badeshorts mancher Jungs und Männer war es seinerzeit noch um andere Dinge gegangen. Schwimmbadbetreiber argumentierten mit Wasserverlust in den Becken und Rutschgefahr außerhalb dieser, weil die Shorts sich vollsaugen und das Wasser nach dem Verlassen des Beckens erst langsam in Rinnsalen im gesamten Bad verteilen. Auch Hygiene war ein Thema, weil manche Männer darunter noch Markenunterhosen zur Schau stellten. Schließlich boten die Taschen der Shorts auch noch Verstecke für Diebesgut.

In den USA würde niemand auf solche Ideen kommen. Ein Blick in Reiseratgeber für die USA zeigt, dass Verhüllung am Wasser dort geradezu eine Tugend ist. Strandknigges warnen Europäer, sich an US-Stränden und Pools allzu freizügig zu zeigen. Mit weniger als knielang geht bei amerikanischen Männern nichts – lieber haben sie weiße Schenkel als sich solche Blöße zu geben. Oben ohne bei Frauen – an italienischen oder spanischen Mittelmeerstränden völlig normal – geht in den USA ebenfalls gar nicht. Ganz zu schweigen von der ostdeutschen FKK-Kultur. Bei manchen US-Amerikanern mag das religiöse Gründe haben, als Argument kommt die Religion allerdings nicht ins Spiel. Man ist eben ein bisschen prüde auf der anderen Seite des Atlantiks, jedenfalls nach den sehr freizügigen europäischen Maßstäben.

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Der Burkini bringt es in europäischen Debatten zu anderen Bedeutungsdimensionen als die schulterzuckend hingenommene Prüderie der Amerikaner. Auch in Deutschland hat der islam-konforme Schwimmdress, der unter diesem Namen erstmals in Australien entworfen wurde, schon einige Debatten hinter sich. Zuletzt urteilte im September 2013 das Bundesverwaltungsgericht, muslimischen Mädchen sei der Schwimmunterricht in der Schule auch mit Jungs zuzumuten, sofern man sie einen Burkini tragen lässt.

Weitere Zugeständnisse sollte es nach diesem Urteil nicht geben, also keine generelle Befreiung vom Schwimmunterricht. Denn darum ging es ja letztlich: dass auch muslimische Mädchen das Schwimmen erlernen und sich körperlich ertüchtigen wie alle anderen – weil das Teil des Lehrplans ist. Die Klägerin damals hatte erfolglos argumentiert, der Anblick von Jungen in Badehosen und mit nackten Oberkörpern würde bei ihr Scham hervorrufen. Das Gericht befand dazu, niemand habe Anspruch auf Schutz vor dem Anblick der Kleiderauswahl anderer.

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Ein interessanter Punkt ist das auch umgekehrt. Haben deutsche Badegäste einen Anspruch darauf, vor dem Anblick ihnen fremder Kleidungsstücke geschützt zu werden? Und reicht dafür der Verweis auf hiesige Sitten und Gebräuche und letzthin Bademodentraditionen, die sich ja auch hierzulande immer wieder gewandelt haben? Den Bürgermeister ereilten jedenfalls auch Beschwerden von der Sorte: "Müssen wir Deutschen uns denn alles gefallen lassen?" Ähnlich wie das Kopftuch wird der Ganzkörperanzug mit integriertem Kopfteil als religiöses Symbol aufgefasst und von manchen allein deshalb abgelehnt.

So baden Frauen bis heute häufig in arabischen Ländern, hier zwei Damen am Strand von Alexandria in Ägypten.

So baden Frauen bis heute häufig in arabischen Ländern, hier zwei Damen am Strand von Alexandria in Ägypten.

(Foto: Associated Press)

Und da wird der Fall erst richtig kompliziert. Die Streits und Prozesse um den Schulschwimmunterricht waren Gratwanderungen. Abzuwägen galt es Religionsfreiheit und Erziehungsauftrag des Staates. Dabei schwang in den Diskussionen eine Sicht auf muslimische Frauen mit, die diese bemitleidet und ihnen irgendwie (heraus-)helfen will. Die Regelung um den Schwimmunterricht musste aber auch pragmatisch sein. In Berlin startete 2009 der erste Pilotversuch einer Burkini-Erlaubnis in den städtischen Schwimmbädern. Der damalige Chef der Bäderbetriebe, Klaus Lipinsky, sagte damals, die Regelung lohne sich schon, wenn dadurch ein paar muslimische Mädchen mehr das Schwimmen erlernten. Man blieb dabei.

Wie sieht es aber im öffentlichen Bäderbetrieb aus? Auch hier ist jede Entscheidung eine Gratwanderung zwischen dem Recht auf Partizipation an einer öffentlichen Einrichtung und den Gewohnheiten der deutschen Gäste. Auf dem Spiel steht, ob muslimische Frauen an solchen Einrichtungen teilhaben können. Im Fall Neutraubling wollte der Bürgermeister zunächst der einheimischen Bevölkerung entgegenkommen. Der kann man aus Politikersicht ungestraft ebensowenig Offenheit verordnen wie einer Muslima den Bikini. Geht man aber davon aus, dass die Muslima die gleichen Bürgerrechte hat wie die Alteingesessenen, so schreit die Situation nach einem Kompromiss. Bürgermeister Kiechle sah diesen in der Existenz eines Frauenbadetages "für sensible Personenkreise" bereits gegeben.

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Natürlich kann man einwenden, die muslimischen Frauen könnten doch jederzeit partizipieren, wenn sie sich nur kleidungsmäßig anpassten, also "integrierten". Das wäre ein Alles-oder-nichts-Prinzip, das in der Realität an den höchst unterschiedlichen Motivlagen jener Frauen scheitern dürfte, die nicht auf Kopftuch und Burkini verzichten wollen, oder meinen es nicht zu können. So führt der Burkini geradewegs ins verminte Gelände der Debatten um muslimische Frauen und ihre Kleidung, die in nahezu allen europäischen Ländern geführt werden. Für den Burkini gibt es noch weniger einheitliche Regelungen wie für Kopftuch und Gesichtsschleier. Letzterer ist in Frankreich verboten, in Deutschland fordert die AfD dies in ihrem Programm.

Bei den bisher ausgesprochenen Verboten schwingt immer auch eine "Bis hierhin und nicht weiter"-Komponente mit. Das unterstellt der einzelnen Burkini-Trägerin aber, sie bereite den Boden für einen "islamischen Dammbruch" im Land. Solcherlei Befürchtungen werden in der aktuellen Diskussion um Flüchtlinge, Migranten und Integration immer wieder laut und von Bewegungen wie Pegida und der AfD angeheizt. Vergessen wird dabei, dass es vielerorts keine Probleme mit Burkinis gibt und mit ihrer Zulassen auch kein Dammbruch einherging, wie etwa in München.

Welch absurde Auswüchse die Angst um das Überhandnehmen vermeintlicher muslimischer Statements bringen kann, zeigt ein Fall aus Frankreich. Dort wurde vergangenes Jahr eine 15 Jahre alte Schülerin der Schule verwiesen, weil sie einen langen schwarzen Rock trug. Das war als religiöses Symbol gewertet worden. Heftig wurde dort auch diskutiert über die Ankündigung einiger Modelabels, islamische Mode gestalten zu wollen. Während die einen einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Mode und Islam sahen, sprachen andere ganz nüchtern von einem überfälligen Fall von Nachfrage und Angebot. Das gilt auch für den Burkini. Bevor der "Sharia Swim Suit" in Läden in Ländern wie Ägypten Einzug hielt, gingen Frauen entweder gar nicht oder in voller Montur ins Wasser. Türkische Onlineshops bieten eine riesige Palette von haşemalar, der türkischen Burkini-Ensprechung.

Das Baden in in konventioneller Kleidung ist aber in deutschen Badeanstalten zurecht verboten. Bleibt die Frage, ob Hallen- und Freibäder überhaupt die richtigen Orte sind, um Kulturkämpfe um den Verhüllungsgrad muslimischer Frauen auszufechten. Schließlich hat auch manche Mitteleuropäerin ihre kleinen inneren Kämpfe mit der Bikinifigur und mancher Mitteleuropäer seine Schwierigkeiten mit dem (nicht vorhandenen) Sixpack. Das sind die Probleme der "freien Welt", die mit Burkini nicht ganz so drängend sind. Die Muslimas indes bleiben im Zweifel lieber ganz draußen, wenn sie zum Halbnacktsein gezwungen werden sollen. Die Kompromisse wie sie etwa Berlin mit seinem Burkini-Test vorgemacht hat, zeigen da einen pragmatischeren Weg auf.

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Author: Wesley Anderson

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